
In einer Zeit, in der über sexuelle Identität offener gesprochen wird denn je, entstehen auch neue Begriffe, die helfen sollen, Erfahrungen genauer zu beschreiben. Manche davon wirken im ersten Moment sehr kompliziert – bis man genauer hinschaut und merkt, dass sie mehr Klarheit schaffen, als man denkt. Dieser Artikel nimmt dich mit auf eine kleine Entdeckungsreise in einen Begriff, der für viele Menschen ganz selbstverständlich zutrifft – und trotzdem kaum bekannt ist.
Definition: allosexual
Der Begriff „allosexual“ dient als Gegenbegriff zu „asexuell“ und beschreibt Menschen, die die Fähigkeit haben sexuelle Anziehung zu empfinden. Während Begriffe wie hetero-, homo- oder bisexuell die sexuelle Orientierung beschreiben, geht es bei „allosexual“ um die Existenz sexueller Anziehung an sich – unabhängig von ihrer Ausrichtung. Der Gegensatz dazu sind asexuelle Personen, die nahezu oder gar keine sexuelle Anziehung empfinden.
Herkunft und Bedeutung des Begriffs
Der Begriff „allosexual“ ist vielen Menschen noch unbekannt. Dabei beschreibt das Wort eigentlich etwas ziemlich Alltägliches: Menschen, die sexuelle Anziehung empfinden. Demnach die große Mehrheit. Trotzdem kennen viele den Begriff nicht – einfach, weil er im Alltag kaum verwendet wird.
Aber warum sollte man überhaupt ein Wort dafür brauchen? Reicht es nicht, wenn jemand sagt, er oder sie ist hetero, bi oder schwul? Nicht ganz. Denn „allosexuell“ beschreibt nicht wen man begehrt, sondern dass man überhaupt sexuelle Anziehung empfindet. Und genau das macht den Begriff so spannend, besonders im Kontrast zur Asexualität.
Der Begriff „allosexual“ stammt aus der queeren und insbesondere der asexuellen Community. Er setzt sich aus dem griechischen Wortteil „allo-“ (fremd, anders) und „sexuell“ zusammen. Die Wortschöpfung wurde eingeführt, um sprachlich auf Augenhöhe mit dem Begriff „asexuell“ zu stehen. Denn wer asexuell ist, wird oft mit einer Abweichung vom „Normalzustand“ beschrieben. Durch die Einführung von „allosexuell“ wird deutlich gemacht: Asexualität ist nicht weniger „normal“ – sie ist einfach ein anderer Punkt auf dem Spektrum menschlicher Sexualität.
Allosexual: im Alltag
Eine allosexuelle Person erlebt sexuelle Anziehung gegenüber anderen – sei es gelegentlich oder regelmäßig. Diese Anziehung kann sich auf ein oder mehrere Geschlechter richten. Allosexuale Menschen können heterosexuell, homosexuell, bisexuell, pansexuell oder queer sein. Wichtig ist dabei: Nicht alle Menschen, die sexuelle Beziehungen eingehen, sind automatisch allosexuell – und nicht alle Asexuellen verzichten grundsätzlich auf Sexualität. Entscheidend ist das persönliche Erleben von sexueller Anziehung, nicht das Verhalten an sich.
Unterschied zur Asexualität, Allosexualität und Demisexualität
Allosexuelle Menschen (also das, was oft als „sexuell aktiv“ gilt) empfinden regelmäßig sexuelle Anziehung.
Demisexuelle Menschen empfinden sexuelle Anziehung, wenn romantische Gefühle zu einer Person bestehen.
Grausexuelle Menschen bewegen sich dazwischen – manchmal ist da ein gewisses sexuelles Interesse da, manchmal nicht. Es ist also nicht schwarz-weiß, sondern eher ein „Graubereich“, was dem Begriff seinen Namen gibt. Die Pride-Flag besteht demnach aus den Farben lila, grau und weiß. Dabei steht lila für Asexualität, weiß für Sexualität und grau symbolisiert die Grauzone zwischen Asexualität und Sexualität.
Asexuelle Menschen empfinden gar keine oder nahezu keine sexuelle Anziehung zu anderen Menschen. Sie können romantische Gefühle erleben oder auch als aromantisch identifizieren, wenn auch romantische Anziehung fehlt.
Auch grausexuelle Personen gehören zum asexuellen Spektrum – aber nicht alle Asexuellen sind grausexuell. Was sie verbindet, ist vor allem das geringe oder seltene Erleben sexueller Anziehung zu anderen Menschen – im Gegensatz zur Mehrheit der Bevölkerung, die regelmäßig sexuelle Anziehung empfindet. Es handelt sich bei beiden um eine sexuelle Orientierung und nicht um eine bewusste Entscheidung, ein Trauma oder eine Phase. Sowohl asexuelle als auch grausexuelle Menschen erleben häufig gesellschaftliche Missverständnisse oder Druck, sich für ihr Empfinden rechtfertigen zu müssen. Dabei ist es wichtig zu betonen: Sexuelles Verhalten (z. B. ob jemand Sex hat oder nicht) sagt nichts darüber aus, ob eine Person asexuell oder grausexuell ist. Es geht vielmehr um die innere Anziehung und das Erleben sexueller Impulse.
Während Asexualität also klarer definiert ist, bewegt sich Grausexualität bewusst im Graubereich – daher auch der Name. Sie bietet Menschen Raum, die sich nicht vollständig mit der asexuellen Definition identifizieren, aber auch nicht die sexuelle Anziehung erleben, die für allosexuelle Personen typisch ist.
Insgesamt zeigen beide Identitäten, wie vielfältig menschliche Sexualität sein kann – und wie wichtig es ist, dafür Sprache, Verständnis und Sichtbarkeit zu schaffen.
Allosexual: warum ist der Begriff wichtig?
In der Regel wird davon ausgegangen, dass alle Menschen sexuelle Anziehung empfinden – das gilt gesellschaftlich oft als selbstverständlich. Wer das jedoch nicht tut, also „asexual“ ist, wird schnell als „anders“ oder „gestört“ wahrgenommen. Um dieses Ungleichgewicht zu reflektieren und Asexualität nicht als Abweichung zu behandeln, wurde der Begriff „allosexuell“ etabliert. Er macht sichtbar, dass auch die Mehrheitsposition – das Empfinden sexueller Anziehung – benannt werden kann und nicht einfach „die Norm“ ist.
Gerade in queeren Diskursen trägt der Begriff dazu bei, mehr Bewusstsein für unterschiedliche Erfahrungen von Sexualität zu schaffen. Indem man zwischen allosexuell und asexuell unterscheidet, wird die Vielfalt sexueller Orientierung und Identität deutlicher – und auch die Besonderheiten des asexuellen Spektrums werden sichtbarer.
Missverständnisse rund um asexuelle Personen
Allosexuell zu sein, bedeutet nicht automatisch, dass man ein hohes sexuelles Verlangen hat oder oft Sex haben möchte. Es geht nur um die Fähigkeit, sexuelle Anziehung zu empfinden – wie häufig oder intensiv das passiert, ist individuell verschieden.
Manchmal wird auch angenommen, dass „allosexuell“ eine neue sexuelle Richtung sei. Dabei handelt sich nicht um eine spezielle Form sexueller Anziehung, sondern um eine Beschreibung dafür, dass sexuelle Anziehung überhaupt empfunden wird. Es sollte also eher als ein Oberbegriff, unter den vielen verschiedenen Orientierungen verstanden werden.