
Sexualität ist ein Spektrum – vielfältig, individuell und nicht immer leicht einzuordnen. Eine Identität, die in der breiten Öffentlichkeit noch relativ unbekannt ist, ist die Grausexualität. Sie beschreibt Menschen, die sich nur selten, unter bestimmten Umständen oder sehr abgeschwächt sexuell zu anderen hingezogen fühlen.
Definition: grausexuell
Grausexualität gehört zum asexuellen Spektrum. Grausexuell (engl. greysexual) beschreibt Menschen, die selten oder nur unter bestimmten Bedingungen sexuelle Anziehung empfinden – oder sich in ihrer sexuellen Orientierung nicht eindeutig asexuell oder sexuell fühlen.
Typische Aussagen grausexueller Menschen können sein:
- „Ich empfinde sexuelle Anziehung nur in ganz seltenen Momenten.“
- „Ich hatte schon sexuelle Fantasien, aber kein Bedürfnis nach Sex mit anderen.“
- „Ich bin mir nicht sicher, ob ich je wirklich sexuelle Anziehung gespürt habe.“
Es geht dabei weniger um Verhalten (also wie oft jemand Sex hat), sondern um das Erleben von sexueller Anziehung – und das kann individuell sehr unterschiedlich ausfallen.
Grausexuell: Typische Merkmale
Im Folgenden findest du eine Auflistung von typischen Merkmalen und Hinweisen, die für eine Selbsteinordnung hilfreich sein können. Wenn dir mehrere der folgenden Punkte vertraut vorkommen, könntest es sich auch bei dir um eine grausexuelle Orientierung handeln:
- Sexuelle Anziehung ist für dich nicht der wichtigste Aspekt einer Beziehung, da du mehr Wert auf emotionale Nähe und Zärtlichkeit legst.
- Sexuelle Anziehung empfindest du nur sehr selten oder nur unter ganz bestimmten Bedingungen.
- Du weißt nicht, ob du jemals „echte“ sexuelle Anziehung empfunden hast oder wie sich das anfühlt.
- Du fühlst dich vom gesellschaftlichen Erwartungsdruck rund um Sex entfremdet, weil du anders empfindest als viele um dich herum.
- Du kannst dir sexuelle Handlungen vorstellen oder praktizieren – hast aber kein großes inneres Verlangen danach.
Bitte beachte, dass Grausexualität keine feste Schublade ist, sondern ein Spektrum, du musst demnach nicht alle Merkmale „erfüllen“, um dich als grausexuell oder greysexual zu identifizieren.
Grausexuelle Menschen in Beziehungen
Da grausexuelle Menschen selten oder nur unter bestimmten Bedingungen sexuelle Anziehung erleben, ist offene Kommunikation besonders wichtig. Viele sprechen frühzeitig mit potenziellen Partnern*innen darüber, wie sie Sexualität empfinden – um Missverständnisse zu vermeiden und gemeinsame Erwartungen zu klären.
Viele grausexuelle Menschen sind romantisch orientiert, das heißt: Sie wünschen sich Nähe, Zärtlichkeit, emotionale Bindung und Beziehung – aber nicht zwangsläufig Sex. Manche genießen Intimität auf anderen Ebenen, z. B. durch Kuscheln und gemeinsame Zeit.
Unterschied zur Asexualität, Allosexualität und Demisexualität
Allosexuelle Menschen (also das, was oft als „sexuell aktiv“ gilt) empfinden regelmäßig sexuelle Anziehung.
Demisexuelle Menschen empfinden sexuelle Anziehung, wenn romantische Gefühle zu einer Person bestehen.
Grausexuelle Menschen bewegen sich dazwischen – manchmal ist da ein gewisses sexuelles Interesse da, manchmal nicht. Es ist also nicht schwarz-weiß, sondern eher ein „Graubereich“, was dem Begriff seinen Namen gibt. Die Pride-Flag besteht demnach aus den Farben lila, grau und weiß. Dabei steht lila für Asexualität, weiß für Sexualität und grau symbolisiert die Grauzone zwischen Asexualität und Sexualität.
Asexuelle Menschen empfinden gar keine oder nahezu keine sexuelle Anziehung zu anderen Menschen. Sie können romantische Gefühle erleben oder auch als aromantisch identifizieren, wenn auch romantische Anziehung fehlt.
Auch grausexuelle Personen gehören zum asexuellen Spektrum – aber nicht alle Asexuellen sind grausexuell. Was sie verbindet, ist vor allem das geringe oder seltene Erleben sexueller Anziehung zu anderen Menschen – im Gegensatz zur Mehrheit der Bevölkerung, die regelmäßig sexuelle Anziehung empfindet. Es handelt sich bei beiden um eine sexuelle Orientierung und nicht um eine bewusste Entscheidung, ein Trauma oder eine Phase. Sowohl asexuelle als auch grausexuelle Menschen erleben häufig gesellschaftliche Missverständnisse oder Druck, sich für ihr Empfinden rechtfertigen zu müssen. Dabei ist es wichtig zu betonen: Sexuelles Verhalten (z. B. ob jemand Sex hat oder nicht) sagt nichts darüber aus, ob eine Person asexuell oder grausexuell ist. Es geht vielmehr um die innere Anziehung und das Erleben sexueller Impulse.
Während Asexualität also klarer definiert ist, bewegt sich Grausexualität bewusst im Graubereich – daher auch der Name. Sie bietet Menschen Raum, die sich nicht vollständig mit der asexuellen Definition identifizieren, aber auch nicht die sexuelle Anziehung erleben, die für allosexuelle Personen typisch ist.
Insgesamt zeigen beide Identitäten, wie vielfältig menschliche Sexualität sein kann – und wie wichtig es ist, dafür Sprache, Verständnis und Sichtbarkeit zu schaffen.