Inhaltsverzeichnis
Im 18. und 19. Jahrhundert spielte der Begriff Cicisbeo eine bemerkenswerte Rolle in den gesellschaftlichen Strukturen Europas, besonders in Italien. Dieses Phänomen war geprägt von der spezifischen Rolle eines Mannes, der einer verheirateten Frau als Begleiter und sozialer Partner zur Seite stand. Was sich zunächst wie eine rein höfische Beziehung anhören mag, verbirgt dahinter ein komplexes Geflecht aus gesellschaftlichen Normen, sozialen Erwartungen und privaten Arrangements. In diesem Beitrag möchten wir genauer auf den Begriff des Cicisbeo eingehen, seine Definition und Bedeutung erläutern sowie einen Blick auf die historische Entwicklung werfen, die zu seiner Entstehung führte.
Definition: Cicisbeo
Der Cicisbeo (auch: „Cavalier Servente“, also „dienender Kavalier“) war ein männlicher Begleiter einer verheirateten Frau, der ursprünglich keine romantische oder sexuelle Beziehung zu ihr hatte. Seine Rolle, die oft auch Teil des Ehevertrags war, war die eines vertrauten Freundes und Begleiters, besonders in der gehobenen Gesellschaft des 17. und 18. Jahrhunderts. Der Cicisbeo begleitete die Frau zu gesellschaftlichen Ereignissen, Ausflügen und anderen öffentlichen Veranstaltungen, vor allem, wenn ihr Ehemann nicht anwesend war.
Oftmals war der Cicisbeo eine respektierte Figur innerhalb der sozialen Hierarchie und konnte aus der Nähe zur Frau auch als sozialer Berater oder unterstützender Partner fungieren. Seine Rolle als Begleiter war also eher respektabel, doch es gab auch Fälle, in denen die Beziehung zwischen dem Cicisbeo und der Frau eine intimere und teilweise auch sexuelle Dimension annahm. Diese Entwicklung war jedoch nicht die Regel, sondern hing von den spezifischen Umständen der Beziehung und den gesellschaftlichen Normen der Zeit ab.
Ursprung
Die Tradition des Cicisbeo hat ihren Ursprung in Italien, insbesondere in den aristokratischen Kreisen des 17. und 18. Jahrhunderts. Üblicherweise wählte die Dame nach dem 1. Jahr der Vermählung ihren Cicisbeo. Falls dies nicht gemacht wurde, machte sich das Ehepaar zum Gelächter der Gesellschaft. Beide Parteien durften diese Beziehung jederzeit abbrechen, jedoch wurden ehemalige Cicisbeos in der Öffentlichkeit schlecht angesehen.
In einer Gesellschaft, in der strenge moralische und gesellschaftliche Normen das Verhalten prägten, war es nicht ungewöhnlich, dass verheiratete Damen in der Öffentlichkeit von einem männlichen Begleiter unterstützt wurden. Der Cicisbeo war dabei nicht nur ein sozialer Begleiter, sondern auch eine symbolische Figur, die den gesellschaftlichen Status der Dame bzw. des Ehepaares aufrechterhielt.
Der Cicisbeo stellte also eine Art Schutz und Puffer zwischen der Frau und der Welt dar. Im Laufe der Zeit verbreitete sich diese Praxis nicht nur in Italien, sondern auch in anderen europäischen Ländern, insbesondere in Frankreich, wo der Cicisbeo als respektierte gesellschaftliche Figur wahrgenommen wurde.
Der Cicisbeo war häufig ledig und jünger als die Dame und wurde aus dem Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis ausgewählt, um eine erotische Beziehung zwischen Dame und Diener zu verhindern. Der Cicisbeo wurde im öffentlichen Auge mehr toleriert, wenn er homosexuell war, denn während seiner Freizeit, durfte er auch keine anderen Beziehungen hegen. Der dienende Kavalier war meistens aus einem armen aristokratischen Haushalt, oft ehemaliger Militäroffiziere, die sehr gute soziale Kompetenzen besitzen.
Obwohl der Cicisbeo in den meisten Fällen primär als höfischer Begleiter und Freund wahrgenommen wurde, gab es mit der Zeit durchaus auch intime oder sexuelle Beziehungen zwischen ihm und der Dame. So durfte er die Dame uneingeschränkt und ohne Anmeldung in den Privatgemächern aufsuchen.
In solchen Fällen trat der Cicisbeo nicht nur als höflicher Begleiter, sondern auch als galanter Liebhaber auf, der der Frau romantische und teilweise erotische Aufmerksamkeit schenkte. Diese intime Dimension war besonders dann präsent, wenn die Frau mit ihrer Ehe unzufrieden war oder wenn der Ehemann durch Abwesenheit oder mangelndes Interesse keine Nähe bieten konnte.
Entwicklung
Heutzutage könnte der Begriff als Metapher für polyamoröse Beziehungen oder für eine Art von romantischer Beziehung verwendet werden, bei der mehrere Partner auf verschiedenen Ebenen – sei es emotional oder physisch – miteinander verbunden sind, während die Hauptpartnerschaft weiterhin besteht, jedoch in einer erweiterten oder offeneren Form.
In der modernen Polyamorie kann ein „Cicisbeo“ als eine Art zusätzlicher Partner verstanden werden, der emotionale oder sexuelle Unterstützung für die Frau bietet, während sie immer noch eine Ehe oder Partnerschaft mit einer anderen Person führt. Diese moderne Form des Cicisbeismus ist nicht mehr an den gesellschaftlichen und kulturellen Rahmen des 17. und 18. Jahrhunderts gebunden, sondern könnte in heutigen polyamoren oder offenen Beziehungen wieder auftauchen.