
Die gesellschaftliche Akzeptanz für sexuelle Vorlieben nimmt zu. Trotz der zunehmenden Akzeptanz der meisten sexuellen Vorlieben gibt es weiterhin Präferenzen, die von der Gesellschaft kaum akzeptiert werden. Dies kann auf gesetzliche und ethische Prinzipien zurückzuführen sein oder darauf, dass das Ausleben der Neigung als riskant für Betroffene und Dritte angesehen wird. In diesen Bereich fällt auch die Hybristophilie.
Definition: Hybristophilie
Hybristophilie bezeichnet eine Form sexueller oder emotionaler Anziehung zu Personen (Paraphilie), die schwere Straftaten begangen haben, insbesondere Gewaltverbrechen.
Das Phänomen ist in der Psychologie als eine atypische Paraphilie eingeordnet, wobei Betroffene häufig eine Faszination für die Macht, Gefahr oder Aufmerksamkeit empfinden, die mit dem kriminellen Verhalten der betreffenden Personen verbunden ist.
Hybristophilie kann in unterschiedlichen Ausprägungen auftreten – von reinem Interesse bis hin zu romantischen oder sexuellen Beziehungen mit inhaftierten Straftätern.
Merkmale
Hybristophilie wird überwiegend bei Frauen beobachtet. Viele dokumentierte Fälle betreffen Frauen, die romantische Beziehungen zu männlichen Gewaltverbrechern aufbauen oder sich mit ihnen identifizieren.
Psychologische Theorien vermuten dabei verschiedene Gründe, z. B. frühere Bindungserfahrungen, ein Bedürfnis nach intensiven Gefühlen oder die Suche nach einer starken (wenn auch gefährlichen) männlichen Figur.
Bei Männern ist das Phänomen deutlich seltener dokumentiert. Wenn es vorkommt, stehen eher sexuelle Motive oder die Faszination für das Kriminelle im Vordergrund – oft mit weniger emotional-romantischer Bindung als bei weiblichen Betroffenen.
Dennoch lassen sich einige Merkmale der Hybristophilie festhalten:
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Anziehung zu Straftätern:
Zentrales Merkmal ist das emotionale oder sexuelle Interesse an Personen, die schwere Straftaten – häufig Gewaltverbrechen wie Mord oder Vergewaltigung – begangen haben. -
Idealisierung und Verklärung:
Die betroffenen Personen neigen dazu, den Täter zu romantisieren, seine Taten zu verharmlosen oder ihn als missverstandenes Opfer darzustellen. -
Fernbeziehungen oder Brieffreundschaften:
Hybristophile suchen häufig gezielt den Kontakt zu inhaftierten Straftätern, etwa durch Briefe, Besuche oder Online-Plattformen für Gefängniskontakte. -
Retterfantasie:
Ein häufiges Motiv ist der Wunsch, den Täter zu „retten“, zu verändern oder durch die eigene Liebe zu „heilen“. -
Kontrolle und Sicherheit:
Manche fühlen sich besonders sicher in einer Beziehung zu einem inhaftierten Menschen, da dieser physisch nicht präsent ist – was paradoxerweise Kontrolle und Nähe zugleich ermöglicht. -
Medienbeeinflussung:
Serien, Dokumentationen oder Social Media können das Bild des Täters verzerren und eine idealisierte Vorstellung fördern.
Psychologische Ursachen
Die genauen Ursachen der Hybristophilie sind bislang nicht eindeutig geklärt. In der psychologischen Forschung gilt sie als komplexes Phänomen, das nicht durch einen einzelnen Auslöser, sondern durch ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren erklärt werden kann. Hybristophilie wird in der Fachliteratur zum Teil als paraphile Neigung eingeordnet, wird jedoch nur selten systematisch untersucht. Entsprechend ist der aktuelle Forschungsstand begrenzt, und viele Annahmen beruhen auf Einzelfallanalysen, Fallstudien und Beobachtungen.
Mögliche psychologische Erklärungsansätze:
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Retter- oder Helfersyndrom:
Viele Betroffene haben das Bedürfnis, eine „gebrochene“ oder gefährliche Person zu retten oder durch Liebe zu verändern. Sie erleben dadurch ein Gefühl von Bedeutung, Kontrolle und emotionaler Nähe. -
Faszination für Macht und Gefahr:
Straftäter, besonders Gewalttäter, werden oft als mächtig, unnahbar oder rebellisch wahrgenommen. Diese Attribute können – insbesondere bei Personen mit einem Hang zur Idealisierung – erotisch oder emotional anziehend wirken. -
Bindungsstörungen oder traumatische Erfahrungen:
Einige Betroffene zeigen auffällige Muster in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen, etwa durch frühere Missbrauchserfahrungen, instabile Bindungen oder mangelndes Selbstwertgefühl. Die Beziehung zu einem inhaftierten Täter bietet eine Form von kontrollierter Intimität, die Nähe ohne reale Bedrohung ermöglicht. -
Medienvermittelte Idealisierung:
True-Crime-Inhalte, Serien oder soziale Netzwerke präsentieren Täter teilweise als charismatische Persönlichkeiten. Diese mediale Überhöhung kann zur Bildung von Fantasien und romantisierten Vorstellungen führen. -
Psychodynamische Theorien:
Aus dieser Perspektive wird angenommen, dass Hybristophilie Ausdruck unbewusster Konflikte oder Wünsche ist – etwa der Wunsch nach Grenzüberschreitung, Machtabgabe oder das Ausleben verbotener Fantasien in sicherer Distanz.
Bekannte Fälle
Hybristophiles Verhalten kann bei zahlreichen bekannten Fällen von Schwerverbrechern vorgefunden werden:
- Ted Bundy
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- Verbrechen: Serienmörder, vergewaltigte und tötete über 30 Frauen in den 1970er Jahren
- Hybristophile Reaktionen: Während seiner Prozesse galt er trotz seiner Taten als „charmant“ und „gut aussehend“. Viele Frauen kamen in den Gerichtssaal, schickten ihm Briefe und verliebten sich in ihn. Er heiratete sogar eine Unterstützerin im Gefängnis.
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Charles Manson
- Verbrechen: Anführer der „Manson Family“, verantwortlich für mehrere brutale Morde (u. a. Sharon Tate)
- Hybristophile Reaktionen: Trotz seiner grauenvollen Taten entwickelte sich fast eine Art Kult um ihn. Auch Jahrzehnte später hatte er eine treue Anhängerschaft, darunter junge Frauen, von denen eine ihn 2014 heiraten wollte.
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Anders Behring Breivik
- Verbrechen: Terroranschlag und Massenmord in Norwegen (2011)
- Hybristophile Reaktionen: Auch er erhielt nach seiner Inhaftierung zahlreiche Liebesbriefe von Frauen, obwohl er keinerlei Reue zeigte. Medien berichteten von Heiratsanträgen und ideologischer Identifikation.
Gefahren von Hybristophilie
Hybristophilie kann mit erheblichen Gefahren verbunden sein – sowohl für die betroffene Person als auch für ihr Umfeld. Eine der größten Risiken liegt in der verzerrten Wahrnehmung: Täter werden idealisiert, ihre Verbrechen verharmlost oder als Ausdruck von Stärke und Tiefgründigkeit missverstanden. Diese romantisierte Sicht kann emotionale Abhängigkeit fördern und dazu führen, dass Betroffene sich von ihrem sozialen Umfeld zurückziehen oder Warnzeichen ignorieren.
In manchen Fällen nutzen inhaftierte Straftäter diese emotionale Bindung gezielt aus – etwa für Geld, Aufmerksamkeit oder Einfluss. Auch Medien können durch überhöhte Darstellung von Tätern zur Faszination beitragen, besonders bei jungen, beeinflussbaren Personen.
Langfristig kann Hybristophilie die Entwicklung gesunder, gleichberechtigter Beziehungen erschweren und tiefere psychische Konflikte verdecken.